Helden und Verräter
Mal ehrlich:
Ihr habt doch auch alle irgendwo 30 Silberlinge herumliegen. Nein? Glaube ich
nicht. Aber jeder war schon einmal Opfer eines Verrates? Warum ist das so? Sehen
wir uns doch einmal ein paar Helden an.
Gebt einem Wesen das Unnütze und nehmt
ihm das Notwendige, und ihr habt den Straßenjungen. Victor Hugo, Die Elenden
Der Gassenjunge
Gavroche aus diesem Werk stellt für
mich die reinste Essenz eines Helden dar. Er ist arm, schwach und allein. Doch
er besitzt als Kernkompetenz eine starke Überzeugung, aus der heraus sein
ganzes Handeln bestimmt wird, was dann zu starken Veränderungen in seinem
Umfeld führt. Eine fiktive Person? Klar. Heute müsste er wohl hinter dem Hauptbahnhof
elendig verrecken, weil man ohne
Lobby nichts mehr verändern kann.
Nehmen wir also
Snowden. Für die meisten ein Held, für alle anderen ein Verräter. Halt. Bis auf
die paar, die wegen ihrer Staatsraison gegenüber den Amerikanern sich nicht
erlauben, ihn gut zu finden. Und die Amerikaner fänden Snowden ja sehr gerne. Aber
lieber tot als gut. Ein Held also?
Im Gegensatz zu
unserem Gassenjungen, kommt bei Snowden eine weitere Komponente ins Spiel:
Interessenskonflikte. Wie war das mit Graf von Stauffenberg? Heute ist er ein
Held, der Versager. Damals war er auch ein Verräter, zumindest aus der Sicht
der Nazis. Er war anfangs selbst ein hochdekorierter verfluchter Nazi. Der
Snowden mit der Bombe, in gewisser Weise. Alles also nur eine Frage der
Perspektive?
Wie war das
denn mit Osama Bin Laden? Bei vielen Muslimen gilt er heute noch als Held,
nachdem er seine ehemaligen Ausbilder und Verbündeten verraten hatte und ihnen
zeigte, dass keiner sicher davor sein kann, nicht selbst Opfer des Terrors zu
werden. Wer bestimmt also den Helden?
Die Moral, die
Ethik, die Überzeugung?
Galileo Galilei
hat damals das Weltbild der Kirche widerlegt, als er bewies, dass die Erde
nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Seine Überzeugung hat er über Bord
geworfen, indem er sich der Folter der Inquisition ergab, aber immerhin nahm er
diese Konsequenzen in Kauf. War dieser Verrat seiner Überzeugung verwerflich,
oder war es doch heldenhaft, gegen eine solche Übermacht wie der Kirche anzutreten?
Was bleibt übrig, um einen Helden oder einen Verräter zu erkennen?
Ich finde, ein
wichtiges Kriterium für einen Helden ist die Freiheit seiner Entscheidung.
Einer Entscheidung, die seiner Überzeugung entspricht, ohne Rücksicht auf die
Konsequenzen seines Handelns. Denn eines steht für mich fest: Helden und auch
Verräter werden immer von den Siegern gemacht. Von denen, die die Grundsätze
der jeweiligen Moral oder der vorherrschenden Normen bestimmen. Die 30
Silberlinge derer liegen nur versteckt unter den Lorbeeren, die sie unter
günstigen Umständen kassieren konnten.
Das Heldentum
kommt mir vor wie ein riesiger Grabstein, den alle betrachten und sich ihre
eigenen Inschriften hineinmeißeln, während sich darunter ein toter Leib
befindet. Man muss kein Held sein, um etwas Gutes zu bewirken. Man muss nur
Glück haben, das Richtige zu tun.
Gebt mir also
die unnütze Moral, die unnützen Prinzipien, für meine Fehler gerade zu stehen,
die unnütze Loyalität, meinen Leuten gegenüber, und nehmt meinen Neid, meine
Gier, meine Arroganz und Überheblichkeit, die der Antrieb für den Erfolg in
einer Konsumgesellschaft sind, und gebt mir die Straße. Aber lasst mir einen
Spiegel, damit ich mich selbst betrachten kann, ohne den Blick abzuwenden, aus
Scham, mich selbst verraten zu haben.
Dann könnt ihr
von mir aus glücklich werden mit euren Helden, bis sie euch verraten.
Wenn man
perfekt sein wollte, sollte man sowieso ein alternatives Leben in Mittelerde
anfangen.
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