Montag, 18. November 2013

Helden und Verräter



Helden und Verräter

Mal ehrlich: Ihr habt doch auch alle irgendwo 30 Silberlinge herumliegen. Nein? Glaube ich nicht. Aber jeder war schon einmal Opfer eines Verrates? Warum ist das so? Sehen wir uns doch einmal ein paar Helden an.

Gebt einem Wesen das Unnütze und nehmt ihm das Notwendige, und ihr habt den Straßenjungen. Victor Hugo, Die Elenden
 
Der Gassenjunge Gavroche aus diesem Werk stellt für mich die reinste Essenz eines Helden dar. Er ist arm, schwach und allein. Doch er besitzt als Kernkompetenz  eine starke Überzeugung, aus der heraus sein ganzes Handeln bestimmt wird, was dann zu starken Veränderungen in seinem Umfeld führt. Eine fiktive Person? Klar. Heute müsste er wohl hinter dem Hauptbahnhof elendig verrecken, weil man ohne Lobby nichts mehr verändern kann. 

Nehmen wir also Snowden. Für die meisten ein Held, für alle anderen ein Verräter. Halt. Bis auf die paar, die wegen ihrer Staatsraison gegenüber den Amerikanern sich nicht erlauben, ihn gut zu finden. Und die Amerikaner fänden Snowden ja sehr gerne. Aber lieber tot als gut. Ein Held also? 

Im Gegensatz zu unserem Gassenjungen, kommt bei Snowden eine weitere Komponente ins Spiel: Interessenskonflikte. Wie war das mit Graf von Stauffenberg? Heute ist er ein Held, der Versager. Damals war er auch ein Verräter, zumindest aus der Sicht der Nazis. Er war anfangs selbst ein hochdekorierter verfluchter Nazi. Der Snowden mit der Bombe, in gewisser Weise. Alles also nur eine Frage der Perspektive? 

Wie war das denn mit Osama Bin Laden? Bei vielen Muslimen gilt er heute noch als Held, nachdem er seine ehemaligen Ausbilder und Verbündeten verraten hatte und ihnen zeigte, dass keiner sicher davor sein kann, nicht selbst Opfer des Terrors zu werden. Wer bestimmt also den Helden? 

Die Moral, die Ethik, die Überzeugung? 

Galileo Galilei hat damals das Weltbild der Kirche widerlegt, als er bewies, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Seine Überzeugung hat er über Bord geworfen, indem er sich der Folter der Inquisition ergab, aber immerhin nahm er diese Konsequenzen in Kauf. War dieser Verrat seiner Überzeugung verwerflich, oder war es doch heldenhaft, gegen eine solche Übermacht wie der Kirche anzutreten? Was bleibt übrig, um einen Helden oder einen Verräter zu erkennen?

Ich finde, ein wichtiges Kriterium für einen Helden ist die Freiheit seiner Entscheidung. Einer Entscheidung, die seiner Überzeugung entspricht, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen seines Handelns. Denn eines steht für mich fest: Helden und auch Verräter werden immer von den Siegern gemacht. Von denen, die die Grundsätze der jeweiligen Moral oder der vorherrschenden Normen bestimmen. Die 30 Silberlinge derer liegen nur versteckt unter den Lorbeeren, die sie unter günstigen Umständen kassieren konnten. 

Das Heldentum kommt mir vor wie ein riesiger Grabstein, den alle betrachten und sich ihre eigenen Inschriften hineinmeißeln, während sich darunter ein toter Leib befindet. Man muss kein Held sein, um etwas Gutes zu bewirken. Man muss nur Glück haben, das Richtige zu tun. 

Gebt mir also die unnütze Moral, die unnützen Prinzipien, für meine Fehler gerade zu stehen, die unnütze Loyalität, meinen Leuten gegenüber, und nehmt meinen Neid, meine Gier, meine Arroganz und Überheblichkeit, die der Antrieb für den Erfolg in einer Konsumgesellschaft sind, und gebt mir die Straße. Aber lasst mir einen Spiegel, damit ich mich selbst betrachten kann, ohne den Blick abzuwenden, aus Scham, mich selbst verraten zu haben. 

Dann könnt ihr von mir aus glücklich werden mit euren Helden, bis sie euch verraten. 

Wenn man perfekt sein wollte, sollte man sowieso ein alternatives Leben in Mittelerde anfangen.  

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