Es wird den Abstieg eines gealterten Komikers beschreiben, sein Ende
und den erstaunlichen Anfang von etwas Neuem.
Einem Prestige der besonderen Art.
Nehmt es nur nicht so ernst...
Die Schlussnummer von Tom Fuhrmann
Prolog
Er hielt sich bewusst im Schatten
der Häuserwände auf, ja wechselte sogar die Straßenseite, wenn eine Laterne ihm
dreist und provokant den Weg erhellte. Zwar waren nicht mehr viele Menschen
unterwegs, aber es gab immer einen, der ihn kannte. Und alle hassten sie ihn.
Sein Auto, ein Volvo Kombi, war in der Werkstatt. Und wie so oft war er
eingeschlafen im Büro. Selbst ein Taxi war ihm zu riskant, und so lief er zu Fuß. Es waren keine drei Kilometer
von der Axel-Springer-Straße bis zu seiner komplett modernisierten
Altbauwohnung in Kreuzberg, aber er hatte Angst. Zuviel Hass. Zuviel
Unverständnis darüber, dass er nur seinen Job
macht.
Er wechselte die Straßenseite, aber dort kam ihm ein Passant entgegen.
Also hockte er sich hastig hinter einen stinkenden Müllcontainer und wartete.
Nur der Suff machte es ihm erträglich, jeden Tag in diese Welt des Irrsinns und
des Stumpfsinns abzutauchen. In einen Ort voller Hass, einem Hass, den er
provozierte, und der gewollt war.
Hass, den man von ihm verlangte, für den er bezahlt wurde. Viel zu
gut bezahlt, und es gab sogar Idioten, die ihn mochten und sich mit den plumpen
Lügen identifizierten.
Aber zu viele durchschauten ihn. Er hatte Angst.
Der
Passant, groß, schwarze Kleidung, kam näher und wandte sich dem Müllcontainer
zu. Seinem Container...
Er holte seinen Penis heraus und fing an zu urinieren. Ein lautes Geräusch des
Ekels entfuhr ihm, als sein Urin Wagner traf. Damit hatte er sich verraten. Der
Unbekannte sah ihn plötzlich an, ohne sein Geschäft zu unterbrechen, und rief:
„Wagner! Der Penner aus der BLICK-Zeitung! Heute ist mein Glückstag!“
Die Prügel seitens des Unbekannten, die nun folgten, waren
relativ schnell vorbei. Aber erst zwanzig Minuten später rappelte sich Wagner
auf. Der Alkohol hatte auch seinen Teil dazu beigetragen, dass er bewusstlos
wurde. Ein langer Blutfaden der sein Kinn mit dem Asphalt zu verbinden schien,
vermischte sich mit der Brühe aus Urin, Dreck und Regen, der inzwischen ohne
Gnade in dicken Tropfen vom Himmel fiel.
„Ich sollte mal was über den Müll in
der Stadt schreiben…“, dachte Wagner. Er verwarf den Gedanken jedoch schnell
wieder. Man durfte sein Publikum nicht intellektuell überfordern.
Wagner
humpelte los. Alles tat ihm weh, nachdem der Unbekannte ungefähr ein Dutzend
Mal zugetreten hatte. Vielleicht besser etwas über Steinbrück? Oder Boris
Becker? Es war ihm nicht neu, Versager vollends in den Staub zu treten. Dabei
auch noch so zu tun, als ob er selber ein netter Mensch wäre, war die Kür daran
für ihn. „Der Becker gibt aber auch keine Ruhe…“, dachte er. „Jetzt auch noch
ein Buch.“ Er stolperte fast, fing sich aber knapp, als er sich an einem
Wahlplakat der NPD festhielt. Ein blutiger handbreiter Streifen zierte danach
das Plakat.
Wagner verstand es, auf symbolische Art aufzudecken. Gegen ein
Plakat der Grünen spuckte er einen Zahn aus. Vor dem der FDP blieb er stehen.
„Lieber Jürgen Möllemann…“, sinnierte er halblaut. „Wo bist Du nur, und was ist
aus Deiner Partei geworden… Nee scheiße. Zu viele Wörter.“
Er ging weiter.
Klatschnass, zerlumpt und blutend überwand er die letzten Meter bis zu seiner
Wohnung. Am nächsten Morgen hatte er fast alles vergessen. Wie immer.
Geblieben waren nur seine Schmerzen und die Blessuren im
Gesicht. Mit seiner Zunge spürte er die Zahnlücke in seinem vor Trockenheit
schmerzenden Mund, und plötzlich stieg Wut in ihm auf.
„Heute schreibe ich einen kaputt…“, versprach er sich, als sein
Blick auf ein Tournee-Plakat eines bekannten Comedian draußen vor seinem
Fenster fiel:
Kalle
Kosinski - Lachen ist gesund 2.0
„Dir wird das Lachen bald vergehen…“, dachte Wagner, wobei sich
sein angeschwollenes Gesicht zu einer Fratze verzog.
wird fortgesetzt…