Donnerstag, 29. Dezember 2016

Danke, Kolumbus

„Hey, was ist los mit dir? Was machst du hier?“

„Oh, hallo. Du bist bist es. Äh…“

„Was machst du hier?“

„Wieso? Ähem. Du bist doch...?“

„1539. Aber das tut nichts zur Sache. Wir kennen uns nicht persönlich. Aber ich weiß, wer du bist. Und heute ist der 29. Dezember, mein Lieber!“

„Mir egal.“

„Was?“

„Es ist mir egal, du Arschloch! Scheißegal ist mir das! Ich kann es nicht mehr hören!“

„Was kannst du nicht mehr hören?“

„Die ballern sich weg mit Alkohol und Drogen, ja? Irgendwann sagt die Pumpe dann: Tschüssikowski, du Idiot, ja? Und wer ist schuld? Ich! Davon habe ich die Schnauze voll!“

"Aber Roger Cicero war wohl kaum so ein Kandidat."

"Sterben gehört  zum Leben wie der Schatten zum Licht, du Naivling! Leben ist Glückssache."

„Aber wir haben trotzdem erst den 29. Dezember, du Jammerlappen!“

„Was willst du von mir, 1539? Was war denn bei dir so los? Hä?“

„Aber…“

„Nichts war los bei dir! Nichts! Heinrich der Fromme wurde Herzog von Sachsen! Ha!  Weißt du was bei mir in Sachsen so los war? Über 600 Anschläge auf Flüchtlingsheime. Zig Übergriffe auf Unterstützer und Helfer in Flüchtlingsunterkünften. Diese elende Partei der blauen Krawatten-Nazis zieht in sämtliche Parlamente ein, feiert Wahlerfolge mit zweistelligem Ergebnis. Man könnte meinen, Honecker hätte das Kollektiv-Gehirn der Ossis mit ins Grab genommen. Und alles bei mir, verstehste?“

„Nicolas Carew.“

„Hä?“

„Die haben Nicolas Carew wegen Verschwörung gegen Heinrich den Achten 
hingerichtet. Exeter.“

„Na und?“

„Von wegen, es war nichts los im Jahre 1539. Die Carta Marina ist übrigens auch mein Ding.“

„Alter, ich wurde dafür symbolisch verbrannt, in die Luft gesprengt, ersäuft und zerfleddert! Die Leute hassen mich. Dabei kann ich doch nichts dafür, dass er da oben Menschen jenseits der 70 schon mal abnippeln lässt. Überhaupt! Für alles, was irgendwelche armen Loser im Leben verkacken, muss ich herhalten? Ich bin derzeit der „Jack the Ripper“ für Promis. Die Spanische Grippe für Künstler und…“

„Hey, geht es noch?“

„Wer bist du denn?“

„Ich bin 1918. Und das sind 1919 und 1920.“

 „Die Spanische Grippe ist unser Ding.“

„OK, sorry. Sollte nur eine Metapher sein.“

„Du bist 2016, stimmts? Arme Sau.“

Danke, aber ich brauche euer Mitleid nicht. Die können mich jetzt mal gepflegt am Arsch lecken. Ich gehe nicht zurück. Die sind alle so feist, degeneriert und verblödet! Dass sie ihre Unzufriedenheit auf mich spiegeln müssen, ist nicht mein Problem!“

„Ach, der feine Herr Freud, oder was?“

„Freud ist meiner!“

„Schnauze 1939! Die Menschen sind so bekloppt, dass sie gar nicht meine wahren Probleme erkennen. Soziale Ungerechtigkeit, Not, Elend, Krieg und das Erstarken des Nationalismus. Überall nur Populisten am Drücker…“

„Ach, dann wende ich mich wohl besser direkt an 2017, oder wie soll ich das interpretieren?“

„Halt dein Maul, 1933! Wir dachten alle, du wärst für immer verschwunden!“




„Dankeschön, 1918. Du weißt ja auch, wovon du sprichst.“

„Aber es sind schon schlimme Sachen passiert bei dir. Brexit, Trump, Syrien, ISIS, Mario Barth…“

“Trump. Toll. Soll ich jetzt auch rumnölen: Danke, Kolumbus? Da kann ich doch nichts dafür! Die Menschen hatten doch schon vorher alles gesät, was sie nun ernten. Nicht nur in Amerika. Auch in Europa. Auf der ganzen Welt werden seit Jahrhunderten die Ärmsten ausgebeutet. Damit wenige im Reichtum ersticken. Wenn es keinen schert, wie es dem Anderen geht, wenn Empathie und Menschlichkeit dem Konsum und den Interessen von Lobbyisten weichen, ist es eigentlich für alles zu spät. Das liegt nicht an mir. Das ist Zufall.“

„Soll ich da mal ran?“

„Danke, 600-nach-Noahs-Geburt. Aber ich denke, wir kommen ohne dein Wasser-Dings klar.“

„Aber du musst zurück. Es ist erst der 29. Dezember. Wenn der Alte das spitzkriegt, fliegst du raus.“

"Witzbold. Wozu denn? Was soll ich denn machen? Es ist doch eh alles meine Schuld.“

„Mach doch mal etwas Gutes. Auch wenn es nur im Kleinen passiert und keiner es mitbekommt. “

„Schenke den Menschen Zeit. Das ist deine einzige Aufgabe. Unsere Aufgabe. Was die Menschen dann mit ihrer Zeit anstellen, das können wir nicht beeinflussen.“

„Isso.“