Montag, 30. Januar 2017

Der Junge


Die überarbeitete Version einer Kurzgeschichte. So lasse ich sie.

Sahin  von Tom Fuhrmann ©2017

Meine einsame Kindheit verbrachte ich zumindest ohne Schmerzen. Es gab keine anderen Kinder, die mir wehtaten. Es gab niemanden. Ich war stets allein, aber unverwundbar.
Bis ich den Jungen traf.

An irgendeinem schulfreien Tag flanierte ich in der Innenstadt. Ich besuchte als Dreizehnjähriger die siebte Klasse des Gymnasiums in Sprockhövel. Ein Wolkenbruch überraschte mich, und ich flüchtete in die nahegelegene „Zwiebelturmkirche". Das Gotteshaus war menschenleer. So flegelte ich mich auf eine Bank und blickte auf das Kreuz. Weder Ehrfurcht noch Geborgenheit konnte ich empfinden oder mir gar aus meiner Perspektive erklären, sofern man im Alter von Dreizehn derartiges wie eine eigene Perspektive besaß, weshalb Menschen so fixiert auf dieses Religionsding waren und schreckliche Dinge taten im Namen dieser Idee, die für mich keinen Nutzen brachte. Eigentlich bestand ich damals nur aus Unzufriedenheit und Langeweile. Fast wäre ich eingeschlafen. 

Plötzlich rief hinter mir eine Stimme: „Hallo!“ Nie im Leben hatte ich mich so fürchterlich erschrocken. Ich drehte mich um, blickte in das fröhliche Gesicht eines Jungen in meinem Alter. Langes schwarzes Haar, dunkle Hautfarbe und die traurige braune Augen, die gar nicht zu dem Lächeln passten, das mich in Form von perfekten schneeweißen Zähnen anstrahlte. Er hatte hinter mir geschlafen, bis ich seine Ruhe störte. „Hallo.“, wiederholte er den Gruß. Ich bekam gerade erst wieder Luft und hauchte: „Hallo. Wer bist du?“ Er sprang auf, stellte sich auf die Bank: „Mein Name ist Sahin. Wir sind aus dem Iran in die Türkei geflüchtet. Dann sind wir vor den Türken geflüchtet. Wir sind Kurden. Jetzt sind mein Vater und ich hier. Und wer bist du?“ Damals beeindruckten mich seine sprachlichen Fähigkeiten. Er formte die Worte ohne erkennbaren Akzent.
„Mein Name ist Lennart. Ich war noch nie auf der Flucht. Außer vor meinen Alten.“
Sahin grinste und rief fröhlich: „Komm mit. Wir machen schöne Sachen!“

Der Junge sprang ruckartig herunter von der Bank. Er klatschte mit seinen Sandalen auf den Boden des Seitenganges. Der Widerhall in der Kirche knallte vom Gewölbe mit unerträglicher Lautstärke zurück. Ich folgte dem Flüchtling. Wer an meiner Stelle wäre nicht so einer Aufforderung nachgekommen? Knarzend öffneten wir die Eingangstür und ich stellte befriedigt fest, dass es kaum regnete.
„Komm!“, rief Sahin und rannte los. Wieder konnte ich nur mühsam mit ihm Schritt halten. Er war schnell. Flüchtlinge müssen schnell sein, dachte ich. Mir fiel ein, was ich in den Nachrichten gehört hatte. Dass in den letzten neun Monaten von Anfang 2015 bis heute über 800 Kinder auf der Flucht im Mittelmeer jämmerlich ertranken.
„Warum zählen sie Kinder extra?“, hatte ich meinen Vater gefragt. Der hatte nur gelacht und gesagt: „Was geht das uns an?“
Vor der Mauer im Kirchweg blieb er stehen und sagte: „Pass auf!“ „Worauf?“ „Pass auf!“, wiederholte er, als ob er dadurch bei mir einen Erkenntnisprozess auslösen könnte und kletterte im selben Moment flink wie ein Affe auf die etwa zwei Meter hohe Mauer. Wie aus dem Nichts holte er eine Plastiktüte aus dem Geäst des Kastanienbaumes und warf sie mir zu. Darin befand sich ein alter Lederball, der definitiv seine beste Zeit hinter sich hatte. „Ein Ball?“, fragte ich unsicher.
„Komm mit. Spielen!“, sagte Sahin, und eine kurze Zeit später passten wir uns auf einer Waldlichtung am Schultenbusch den alten Fußball zu, schossen auf ein Tor, das wir vorher mit zwei großen Steinen markiert hatten. Ich spielte nach langer Zeit mit einem Gegenstand, der weder einen Anschluss für ein Netzteil, noch Batterien besaß. Das hier war nicht „Fifa 2015“. Aber ich hatte Spaß wie schon lange nicht mehr. 

Dann erstarrte ich in meiner Bewegung. Der Ball, den ich fangen wollte, prallte von mir ab und kullerte unbeachtet in Sahins Richtung. Doch der hatte auch nur Augen für den Grund meiner Starre.

„Hey Muselmann, das ist mein Ball!“ David Gerber stand vor uns. Er war vierundzwanzig Jahre, groß, kahlköpfig und brutal. Sahin starrte ihn an, als ob der Mann gerade mit einem UFO gelandet wäre. David Gerber hatte keinen Schulabschluss, vertrat dafür eine deutsche Gesinnung. Flüchtlinge passten sehr gut in sein Feindbild. 

„Ball hergeben, Kanacke! Oder du nix dem Deutschen mächtig?“, fragte David Gerber und grinste fürchterlich. Sahin drehte den Kopf so schnell in meine Richtung, dass seine langen schwarzen Haare flogen. Wir verstanden uns ohne Worte in dieser bedrohlichen Situation. Ich nickte ihm zu. Sahin händigte den alten Lederball sofort an den Skinhead aus. Dabei fixierte er ihn mit den dunklen Augen, unerbittlich und durchbohrend, so dass der große Mann seinen Blick senkte. 
"Es muss heißen: Des Deutschen.", zischte er. Sahin zeigte nicht die Spur von Angst, was ich von mir nicht behaupten konnte. Mir schlotterten die Knie. 

Kaum hatte Gerber den Ball aufgehoben, starrte er Sahin wieder hasserfüllt an. Ohne Vorwarnung verpasste er dem Kurden mit der freien linken Hand einen Schlag vor den Kopf, dass der Flüchtling zur Seite stürzte und auf dem Boden landete. Dann zog der Skin übel grinsend ein Springmesser und stach mit der Klinge mehrmals in den Ball. 

Das Geräusch der entweichenden Luft schien uns zu verhöhnen.

„Nein!“, schrie Sahin, rappelte sich auf und stürmte auf Gerber zu. Der trat ihn brutal in den Bauch, stoppte den Angriff, kaum dass er begonnen hatte. Ich konnte mir das nicht länger mit ansehen, verdrängte meine Angst und schlug dem Riesen mit der Faust gegen sein rechtes Ohr. Gerber stöhnte auf vor Schmerz, drehte sich mit einer Geschwindigkeit um, die ich nie erwartet hätte, packte mich am Arm und hielt mir das Stilett an den Hals. „Ich schlitz dich auf, du Kröte!“, zischte er. Plötzlich brach er zusammen wie ein nasser Sack, ließ mich frei und sein Messer fiel neben ihm auf den Boden. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem bemoosten Waldboden, und aus einer Wunde am Hinterkopf schien etwas Blut zu sickern.
„Schnell. Komm!“, rief Sahin und warf einen großen Stein weg.

Wir rannten ohne Pause, bis uns der Atem stockte. Erschöpft und nassgeschwitzt erreichten wir den Busbahnhof, wo sich damals meine Grundschule befunden hatte. Hechelnd wie zwei verrückte Hunde setzten wir uns auf eine Mauer und nach einiger Zeit, fragte ich den fremden Jungen: „Sahin, wo hast du so gut Deutsch gelernt?“
„Mein Großvater ist, bevor ich geboren wurde, nach Deutschland gekommen. Zum Arbeiten als Gast.“ „Als Gastarbeiter?“, korrigierte ich. „Als Gastarbeiter. Mein Vater wurde in Essen geboren. Hat studiert. Betriebswirtschaft. Später dann ist er zurück. Ich wurde im Iran geboren. Dort hat mein Vater an der Universität in Teheran Betriebswirtschaft, Deutsch und Englisch unterrichtet. Uns allen hat er das beigebracht.“
„Wow, krass. Mein Vater sagt, dass ihr Wirtschaftsflüchtlinge seid, weil die Türkei fast wie Europa ist.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Wenn du aus Syrien gekommen wärst, wäre das anders, verstehst du?“, versuchte ich ihm zu erklären. Ich zwang mich krampfhaft, mich an die Worte meines Vaters zu erinnern.
„Nein. Warum wäre das anders? Da sind auch Kurden.“, meinte Sahin. „Ja, aber in Ländern wie der Türkei passiert dir ja nichts. Nur dass ihr kein Geld geschenkt bekommt.“
Er sah mich entgeistert an und es klang mitleidig, als er endlich sagte: „Lennart, du weißt gar nichts.“

Wütend stieß ich mich von der Mauer ab und baute mich vor Sahin auf, der mich noch nicht mal eines Blickes würdigte, während er da saß und seine Füße baumeln ließ.
Meinen wütenden Auftritt hatte er ignoriert, und er wirkte fortan abwesend. Nach ein paar Minuten setzte ich mich auch wieder neben ihn auf die Mauer, vergrößerte jedoch den Abstand zwischen uns um einen Meter. Er sollte nicht denken, ich sei wieder versöhnlich. So beobachteten wir, wie die Busse gegenüber mit laut dröhnenden Motoren abfuhren und ankamen, wartende Leute zustiegen, hektische Menschen ausstiegen. Dabei zogen wir es beide vor zu schweigen. Als die Neugierde auf meinen ersten und gleichzeitig so einzigartigen Freund größer wurde als mein jugendlicher Stolz, sagte ich: „Komm, Sahin. Wir gehen rüber zum Kiosk. Ich lade dich auf eine Coke ein.“

Er sah mich mit großen Augen an, schwieg aber . Dennoch folgte er mir wie ein Hund, als wir den Bahnhofskiosk betraten. Ich holte zwei Flaschen Cola aus dem Kühlschrank und nahm eine Tüte Skittles aus dem Regal und zahlte an der Kasse. Als wir hinausgingen, hielt eine Polizeistreife vor dem Kiosk. Augenblicklich erstarrte ich, da mir Gerber wieder einfiel. Wie aus einem dichten Nebel tauchte er als Bedrohung wieder in meinem Bewusstsein auf. Vielleicht war Gerber tot? Oder vielleicht lebte er noch? Ich konnte damals nicht sagen, welches Szenario ich als schlimmer empfand. Die beiden Polizisten stiegen aus, bedachten Sahin zwar mit grimmigen Blicken, aber sie betraten dann den Laden, ohne sich weiter um uns zu scheren. Wir nahmen unseren Proviant und gingen wieder hinüber zu unserer Mauer. Der junge Kurde zog plötzlich ein Messer aus der Tasche. Es war das Stilett von David Gerber, das er vor unserer Flucht eingesteckt haben musste. Damit öffnete er die Flasche, indem er mit dem Griff den Kronkorken weghebelte. Panik vor diesem Tötungsinstrument spornte mich an, in die Offensive zu gehen: „Sag mal, bist du wahnsinnig? Da vorne stehen Polizisten. Pack das Ding weg!“
„Okay. Aber Messer gehört mir", sagte Sahin sanft und steckte das Stilett weg.
„Sahin, wieso hast du gesagt, ich wüsste nichts?“
Es musste raus. Ich spürte, wie meine Ohren heiß wurden, spürte die unterdrückte Wut, da ich seine offensichtliche Arroganz immer noch persönlich nahm. Dann erzählte er mir seine Geschichte.
„Mein Vater war im Widerstand tätig. Er kämpfte im Untergrund gegen das Ahmadinedschad-Regime. Dann irgendwann kamen Männer vom Geheimdienst. Vater war nicht da. Sie machten schlimme Sachen mit meiner Mama, wirklich schlimme Sachen. Dann erschlugen sie Mama und nahmen meine große Schwester mit.“
Mein Zorn war verraucht, und die Stelle in meinem Bauch wurde durchflutet von Grauen. „Und dann?“, fragte ich mit krächzender Stimme. Dabei registrierte ich, dass Sahins Augen sich mit Tränen füllten. Zwei glänzende schwarze Sterne in einem hübschen Gesicht. Damals machte ich mir kein Bild davon, wie schwer es für ihn gewesen sein musste, über diese Dinge zu sprechen.
„Vater nahm meine kleine Schwester und mich mit zu einem Mann aus dem Untergrund. Der gab uns Pässe und sowas. Dann gingen wir zu einem anderen Mann. Der hatte einen geheimen Club, wo die Sex machen…“
Ich wurde sofort rot wie eine Tomate. Damals war ich in Bezug auf Mädchen nahe an der Galanterie, aber meilenweit entfernt von der Leidenschaft. Ich war im gleichen Maße neugierig auf Sex, wie er mir Angst machte, und beim bloßen Erwähnen des Wortes fühlte ich mich ertappt.
Wie ich lange nach den Erlebnissen recherchierte, organisierte die Sado-Maso-Szene im Iran auch die eine oder andere Flucht. Diese Leute waren es gewohnt, im Untergrund zu arbeiten, da ihre Neigungen tabu waren.
„Was ist mit deiner großen Schwester?“, fragte ich ihn.
„Vater sagte, er hätte in Agri von einem Freund aus Teheran erfahren, dass man sie tot aufgefunden hat. Er konnte nicht sprechen fast eine Woche lang, weil er sich vorwirft, dass er sie im Stich gelassen hat, um uns zu retten.“
Niemals hätte ich es gewagt, den nun stillen Jungen darum zu bitten, dass er mir den Rest seiner Geschichte mitteilte, aber er fuhr von selbst fort: „Agri in der Türkei. Die Soldaten kämpften gegen die PKK. Das sind Kurden, die gegen die Türken kämpfen.“
„Sind Kurden denn keine Türken, wenn sie da leben?“, fragte ich. „Bin ich Deutscher, jetzt wo ich hier lebe?“, fragte er zurück. „Wenn du einen deutschen Pass hast finde ich schon, ja.“ „Willst du das Ende hören?“, zischte er. „Ja. Bitte.“ Nachdem er einen großen Schluck aus seiner Flasche getrunken hatte, sagte er: „An der Grenze zur Türkei wurde meine kleine Schwester Sarah von einem Soldaten erschossen. Sie stand nur einen halben Meter neben mir. Sie haben oft einfach geschossen an der Grenze. Und sie haben Sarah getroffen. Jetzt sind Vater und ich alleine.“
Wieder machte er eine Pause, um sich die Tränen abzuwischen.
Ich schämte mich für sein Grauen. „Hör mal. Du musst das nicht erzählen, Sahin.“
„Doch.“, schluchzte er, „Du bist mein einziger Freund. Du sollst alles hören. Wir haben sie hinter der Grenze begraben. Sie war erst fünf Jahre alt. Vater konnte sie tragen. Dann waren wir in Agri, wo uns die Soldaten gehasst haben. Es waren bestimmt hundert iranische Kurden mit uns da. Viele kannten uns. Vater hatte Angst vor dem Geheimdienst. Er wollte weg. Es gab keine Arbeit für uns. Es gab keine Hoffnung. Vater sagte, wir müssen vielleicht zwei Jahre warten, bis man uns anerkennt. Da sind wir abgehauen.“
Sahin stand auf und ging direkt vor mir in die Hocke. Er blickte zu mir und niemals würde ich diesen traurigen Ausdruck vergessen, der zugleich eine derart zornige Attitüde besaß, dass ich Angst bekam.
„Ich kann nicht sagen, wie lange wir unterwegs waren. Wir mussten nach Deutschland, sagte Vater. Er kannte Männer hier von früher. Im Internetcafé hat er mit ihnen gesprochen unterwegs. Manchmal nahmen uns Lastwagen mit, meistens liefen wir, bettelten und manchmal wurden wir verprügelt, weil wir dreckige Kurden sind. Dann waren wir plötzlich in Istanbul. Vater holte dort Geld bei einem Mann ab, den ich nicht kannte. Dann flogen wir nach Düsseldorf.“ Das war zu viel für mein Gemüt. Ich nahm meinen Freund in den Arm und während mich der Schmerz umarmte, flüsterte ich: “Willkommen, Sahin. Willkommen.“

Wir Hielten uns gegenseitig fest und ich spürte, wie Sahin zitterte, schluchzte. Ich bemerkte nicht, dass ein Auto mit quietschenden Reifen auf den Busbahnhof gefahren kam.
Plötzlich rief eine tiefe Stimme: „Schau mal! Schwul sind die beiden auch noch!“ Wir waren umzingelt von David Gerber und zwei seiner Freunde. Alle waren in seinem Alter, groß und sahen brutal aus. Sie trugen schwarze Sachen, hatten Schnürstiefel an und einer hatte ein Hakenkreuz auf den Hals tätowiert. David Gerber hatte einen Verband um seinen Glatzkopf. Sahin schob mich hinter sich. Der kleine Kurde schien mich beschützen zu wollen. Gerber trat vor, er hatte einen Aluminium-Baseballschläger in der Hand.

„Ja, Muselmann. Jetzt kommt die Quittung.“ Er schlug so schnell zu, dass Sahin keine Chance hatte, obwohl er seine Arme blitzschnell hochgerissen. Die Keule traf ihn so hart, dass er umfiel wie ein Mehlsack. Die anderen fingen sofort an, ihn mit Fußtritten zu bearbeiten. Ich sah das parkenden Polizeiauto auf der anderen Seite und schrie aus Leibeskräften: „Hilfe! Polizei! Hilfe!“

Ich winkte und schrie, bis mir jemand so hart vor den Kopf schlug, dass ich gegen die Mauer fiel. Endlich hatten sie von Sahin abgelassen, aber nun stand ich in ihrem Fokus.
Die beiden Kumpane packten mich von jeder Seite an den Armen.
„Hört auf, ihr Schweine. Lasst uns in Ruhe…“, flehte ich. Doch Gerber ging in Ausgangsstellung wie bei einem Baseballspiel und sagte: „So jetzt gibt es auf die Murmel, Kanackenfreund…“
Er holte aus, und wie aus heiterem Himmel ließ er die Keule fallen. Es gab ein metallisches, hohles Geräusch, als sie auf dem Boden aufkam. Dann folgte Gerber seinem Baseballschläger, kippte nach vorne, und ein Messer steckte in seinem Rücken. Sein Messer. Dahinter stand der blutüberströmte Sahin.

Der Rest endete im Lärm des Martinshornes der Polizeistreife. Handschellen klickten. Wir wurden gepackt und abtransportiert. 
Das Alles zog wie im Nebel an mir vorbei. Polizei, Krankenwagen. Der Körper auf dem Bürgersteig. Der Junge.
Bevor sie ihn von mir wegzerrten und ich ihn nie wiedersah, schluchzte er: „Es tut mir leid, dass überall Krieg ist.“




Sonntag, 1. Januar 2017

Schadensbegrenzung


Alles ruhig an Silvester in Köln.

Abgesehen von einer größeren Personenkontrolle im Bereich der Bahnhöfe und der Domplatte.

Die Polizei hat definitiv einen guten Job gemacht. Danke an die Frauen und Männer, die sich den Arsch aufgerissen haben in dieser Nacht. Auch die Feuerwehren und Ärzte und alle, die nicht feiern durften.

Aber gerade die Polizei hat ihr Bestes gegeben.

Abgesehen von der Verbreitung neuer Wortkreationen wie „Nafri“. Ich musste spontan an den Begriff „Geltungsjude“ denken. Die Älteren werden sich noch erinnern.
„Racial Profiling“ finde ich auch nicht besser. 

Wie hätte man das wohl auf Deutsch genannt? Damals im Dritten Reich?

Das Erschreckende ist dabei für mich, dass im Prinzip der Druck auf die Stadt Köln so groß war, dass jedes andere denkbare realistische Szenario schlimmer geendet hätte für die Allgemeinheit, und dazu zähle ich natürlich auch unsere Flüchtlinge und andere Migranten, die bei uns in Deutschland leben.

Eine weitere Eskalation wie vor einem Jahr musste verhindert werden. Die 

Nordafrikanischen Menschen vor einem wütenden Mob von Rassisten zu schützen, hätte eine ähnliche Berechtigung gehabt.

Ein Szenario, das mir gar nicht so abwegig erscheint, wenn ich darüber nachdenke, welche Parteien und Bewegungen alle an diesem Tag am selben Ort „demonstrieren“ wollten. Wogegen? Wofür?

Und dabei war und ist es im Sinne unseres postfaktischen Zeitalters völlig irrelevant, wie die Faktenlage am 31.12.2015 wirklich war. Ob es wirklich nur 15 Anzeigen wegen sexueller Nötigung waren oder 500.

Das Bild, das dank der rechten Medien, der Propaganda der Rassisten und der Dummheit unserer Nachrichtenredaktionen in unseren Köpfe eingemeißelt wurde, zeigt Horden von halbnackten dunkelhäutigen, blutrünstigen Verbrecherbanden, die mit ihrem erigiertem Glied Lieschen Müller das Handy aus dem Ausschnitt ziehen und anschließend die blonde Maid vergewaltigen.

Alles ferngesteuert und koordiniert von dem „zentralen Welt-Nafritum“.

Hallo? Tausend Leute treffen sich doch nicht zufällig alle gleichzeitig in Köln? Und alle betrunken und irre vor Geilheit?
Das auch noch an Silvester, dem Tag an dem der Wendler gar nicht auftritt. 
                                                    (Ironie aus)


Ich möchte mir trotz allem nicht ausmalen, wie die Gemeinschaft der Abgehängten und xenophoben Faktenverweigerer sich profiliert hätte, wenn es zur Eskalation gekommen wäre.  

Deshalb nochmal Danke, liebe Stadt Köln, dass du diese unmöglichen Demonstrationen untersagt hast.

Köln stand mit dem Rücken an der Wand und hat das Beste daraus gemacht.
Schön war es nicht. Nichts, womit man sich schmücken könnte. Es gab halt keine größeren Verluste.

Es bleibt für mich düsteres Bild zurück für unseren Weg in die multikulturelle Zukunft.

Und zeigt umso mehr, woran wir arbeiten müssen: Sicherheit zu gewährleisten, ohne Menschen wegen „eines bestimmten Phänotyps“ unter Generalverdacht zu stellen.

Sonst haben die „Anderen“ ein Stück weit gewonnen.

Und das darf nicht sein.

Bitte haltet dagegen.

Mit Worten und guten Taten.